Bald ist Ende März, dem Spechtmonat schlechthin. Beste Zeit um den Trommlern nachzuspionieren. Zwei Grünspechte am Waldrand locken mich am frühen Morgen ans Fenster. Sie haben mich im vergangenen Jahr zum Narren gehalten. Trommeln, rufen und wegfliegen war ihr Spiel. Und das nicht in einfachem Gelände. Steile Hanglage prägt das Bild oberhalb unserer Siedlung und fordert den Suchenden. Ich schwanke in der Entscheidungsfindung, Corona ist allgegenwärtig, drückt auf Moral und Motivation.
Ich sammle in Gedanken Argumente um doch auf Pirsch zu gehen. Mal ein paar Stunden ohne News aus Tageszeitung, Tablet, Radio und Smartphone, das wäre doch eine gute Sache! Ich überwinde mich und mache den Fotorucksack doch mal vorsorglich bereit. Zuerst wartet aber der Liebling der Familie, unser Parson Russel Terrier auf seinen Hunde Trail. Nur mit Fernglas um den Hals, gehts auf eine erste Erkundungsrunde. Die Grünspechte sind wie vom Boden verschluckt. Die Lust ist trotzdem geweckt, also nichts wie los, Tapetenwechsel!
Ich wähle den kürzesten Weg, will möglichst keinem Menschen begegnen, schnell im Wald "untertauchen". Ich steige hoch, lasse die Goldiwilstrasse möglichst schnell unter mir und definiere beim Laufen das neue Tagesziel, Schwarzspecht. Vom Schwarzspecht bearbeitete Baumstrünke treffe ich mehrere an, keiner weist ganz neuen Bearbeitungsspuren auf.
Je höher ich steige, je vielfältiger wird die Struktur des Waldes. Ich liebe den Duft von frisch geschlagenem Holz, auch wenn mich die Holzgewinnung in diesem Wald in ihrer Grobheit wenig begeistert.
Ich verlasse den Holzerweg, steige weiter hoch, halte zwischendurch an um zu Lauschen. Zilpzalp und Mönchsgrasmücke lassen sich vernehmen, eine Heckenbraunelle schleicht sich durch die wegbegleitende Strauchschicht. Ich versuche ein paar Fotos zu schiessen. Eine Gruppe lärmende Eichelhäher weckt dann mein spezielles Interesse. Eichelhäher haben ein grosses Repetoir an Stimmimitationen anderer Vögel, vom Mäusebussard, über Graureiher bis zum Habicht. Sie haben mich entdeckt und lassen dies mit ihrem bekannten Warnruf die ganze Waldgemeinschaft wissen. Also setze ich mich erst mal ruhig hin und tatsächlich wechselt die laute Gesellschaft vom Warnruf überraschend schnell wieder in den Gesangsmodus. Aber was war denn das? Ein laut klagender Ruf lässt mich aufhorchen. Das tönt nach Greifvogel. Falke? Ich checke die Möglichkeiten. Wanderfalke war das Naheliegendste. Die Eichelhäher hatten sich inzwischen in eine dichte Fichtengruppe verzogen. Aus dieser Richtung ertönten die auffälligen Klagerufe. Vorsichtig verschiebe ich mich weiter nach rechts, halte immer wieder an, um mit dem Fernglas eine mögliche Lücke durch die Fichtengruppe zu finden. Und tatsächlich liess sich, noch teilweise von Fichtenästen verdeckt, der Rufer ausmachen. Ich hatte recht, es war ein Wanderfalkemännchen! Ich zog mich ganz langsam zurück um mit einem weiten Bogen eine Stelle mit freigestellter Sicht auf Baum und Falke zu erreichen. Die abgestorbene Lärche überragt alle umliegenden Bäume, für den Falken ein perfekter Anflug- und Aussichtspunkt, um das ganze Revier zu überblicken. Für mich ein toller Anblick und eine erfreuliche Entdeckung. Ich bin sicher, das Wanderfalkenmännchen ist nicht allein.